Die Fremdsprachendidaktik: Eine Disziplin im Spannungsfeld von Theorie (Anspruch) und Praxis (Wirklichkeit)
Abstract
Die Fremdsprachendidaktik beschäftigt sich
mit dem Lernen von Fremdsprachen in institutionellen Kontexten. Während sie
zunächst den schulischen Erwerb der modernen Fremdsprachen nach dem Vorbild des
grammatikorientierten Zugangs zu den alten Sprachen modellierte, entwickelte
sie in einer zweiten Phase, beeinflusst von strukturalistischen Vorstellungen
einer deskriptiv orientierten Linguistik und einer behavioristisch orientierten
Lernpsychologie, Konzepte des Sprachlernens, die stärker auf den mündlichen
Gebrauch der Fremdsprachen ausgerichtet waren, sich aber durch ein
mechanistisch geprägtes Verständnis vom Lernen
charakterisierten. Erst in den letzten vierzig Jahren hat sich, wiederum
beeinflusst durch jüngere lernpsychologische, linguistische und
psycholinguistische Strömungen, ein Verständnis vom Erwerb einer Fremdsprache
entwickelt, das stärker prozessorientiert auf die Kompetenzen fokussiert, die
zum Gebrauch einer Sprache erforderlich sind. Jede dieser
fremdsprachendidaktischen Schulen war bzw. ist also verankert in einer sprachwissenschaftlichen
und lernpsychologischen Theorie, die eine bestimmte epochale Grundströmung
widerspiegelt. Jede dieser Schulen hat aber auch versucht, eine Theorie der
Praxis der jeweiligen Theorie zu entwickeln, die als Leitbild für die konkrete
Unterrichtspraxis dienen und die Umsetzung in das praktische
Unterrichtsgeschehen erleichtern sollte. Dies ist in den verschiedenen
fremdsprachendidaktischen Schulen in unterschiedlichem Maße gelungen.
In meinem Vortrag möchte ich dieses
Spannungsfeld zwischen Theorie und Praxis für die aktuell beobachtbaren und zum
Teil miteinander konkurrierenden fremdsprachendidaktischen Ansätze ausloten und
gleichzeitig verdeutlichen, inwieweit die theoretischen Ansprüche in der
schulischen Wirklichkeit realisiert werden können. Neben einem häufig
anzutreffenden eher eklektischen Ansatz, der vor allem auf persönlichen
Erfahrungen der Lehrpersonen rekurriert und nur selten einer Theorie
verpflichtet ist, sind es vor allem drei Strömungen, die ich zu identifizieren
vermag: (1) die so genannte kommunikative Didaktik in ihren verschiedenen
Spielarten, die zumindest von der Theorie her heute als mainstream Fremdsprachendidaktik bezeichnet werden kann, (2) der
Ansatz, der mit dem Stichwort Lernerautonomie verbunden ist und in der unterrichtlichen
Praxis in Deutschland bisher kaum vertreten ist, und schließlich (3) das so
genannte bilinguale Lehren und Lernen, bei dem ein Sachfach in der Fremdsprache
vermittelt wird. Gerade dieser Ansatz tritt im tertiären Bildungsbereich immer
stärker in den Vordergrund. Die drei zuletzt genannten Ansätze werden im
Mittelpunkt meines Vortrags stehen.
Biodata
Dr. Dieter Wolff ist
emeritierter Professor für Angewandte Psycholinguistik an der Bergischen
Universität in Wuppertal. Seine Forschungsschwerpunkte sind Sprachverarbeitung
in einer zweiten Sprache, Schulischer Fremdsprachenunterricht und Bilinguale
Erziehung. Er war sechs Jahre Vizepräsident der AILA (Association
Internationale de Linguistique Appliquée) und über Jahre hinweg Mitherausgeber
dreier Zeitschriften zur Angewandten Linguistik und zum Fremdsprachenunterricht
(Die Neueren Sprachen, Neusprachliche Mitteilungen aus Unterricht
und Praxis, International CLIL
Research Journal). Zurzeit berät er verschiedene europäische Regierungen im
Hinblick auf den Bilingualen Sachfachunterricht. Ein besonderer Schwerpunkt
seiner Beratertätigkeit im nationalen Rahmen liegt auf dem früh beginnenden
Fremdsprachenunterricht.
Er nahm an einer
Reihe von europäischen Projekten teil, z.B. zuletzt in dem von der EU
finanzierten CCN-Projekt (CLIL Cascade Network) und einem Projekt zur
Entwicklung von Curricula für die CLIL-Lehrerausbildung, das vom Europarat
finanziert wurde. Ein Projekt mit dem Goethe Institut Mailand zum Bilingualen
Sachfachunterricht wurde vor wenigen Monaten abgeschlossen. Das in diesem
Zusammenhang entstandene Buch CLIL in
deutscher Sprache in Italien – Ein Leitfaden, das auch in italienischer
Übersetzung vorliegt, ist im italienischen CLIL-Kontext inzwischen weit verbreitet.
Zurzeit arbeitet er
als wissenschaftlicher Berater für den Schulverlag Plus in Bern an der
Entwicklung eines Französischlehrwerks (Mille
feuilles/Clin d‘oeil) für den Anfängerunterricht. Es geht hier darum,
Lehrmaterialien zu entwickeln, die auf neuen fremdsprachendidaktischen
Konzepten basieren, d.h. schülerorientiert und authentisch sind.
Seine
Veröffentlichungsliste umfasst 12 Bücher und mehr als 220 Artikel in
wissenschaftlichen Zeitschriften, Handbüchern und Sammelbänden. Seine
Buchveröffentlichung Fremdsprachenlernen
als Konstruktion: Grundlagen einer konstruktivistischen Fremdsprachendidaktik
wurde 2002 von Peter Lang veröffentlicht und erschien 2009 in der zweiten
Auflage. Zum bilingualen Sachfachunterricht veröffentlichte er mehr als 30
Aufsätze in renommierten internationalen Zeitschriften und in Sammelbänden.